Wie die Erkenntnis des Neurologen Viktor Frankl Dich unterstützen kann

 

Innere Unruhe kann uns lähmen, ständig sorgen und unser Leben heftig beeinflussen. Was tun, an Tagen wie diesen, in denen wir — wie aktuell hier in Berlin und Deutschland — schreckliche Ereignisse zu betrauern und zu verarbeiten haben? Da kann es eine echte Herausforderung sein, in all der Unruhe, die aktuell auf der Welt herrscht, die innere Ruhe zu wahren oder wieder zu finden.

Wie wir trotz schwerer Stunden die innere Balance halten oder zurück erlangen können, möchte ich Dir heute anhand der bewegenden Lebensgeschichte des Neurologen und Psychiaters Viktor Frankl erläutern, welcher mehrere Konzentrationslager überlebte.

Frankl wurde 1905 in Wien geboren und hatte jüdische Wurzeln. Nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich blieb er trotz zugespitzter Lage in seiner Heimat. Er wollte seine Eltern nicht alleine zurück lassen. Sein Visum zur Ausreise nach Amerika blieb entsprechend unbenutzt. Die Nazis zwangen seine Frau Tilly zur Abtreibung des gemeinsamen Kindes. 1942 wurde Viktor Frankl zusammen mit seiner Ehefrau und seinen Eltern in das Ghetto Theresienstadt gebracht, von wo aus er in weitere Lager wie Auschwitz und Türkheim deportiert wurde.

 

In seiner Not machte Frankl eine bahnbrechende Entdeckung

 

In dieser Zeit erlebte Frankl etliche Situationen, die fernab jeglicher Menschenwürde lagen und die ich an dieser Stelle gar nicht näher beschreiben möchte. Kein Buch, das ich je gelesen habe, hat mich mehr gefordert, als die Beschreibungen seiner Erlebnisse. Manchmal musste ich das Druckwerk nach zwei oder drei gelesenen Seiten wieder ablegen, um das Geschriebene erst einmal zu „verdauen“.

Frankls Eltern, sein Bruder und seine Frau starben in den Lagern. Mit Ausnahme seiner Schwester und ihm kam die gesamte Familie dort um. Frankl selbst erlebte zahllose Erniedrigungen und Folter. So wurde er beispielsweise barfuß bei Eis und Schnee für den Straßenbau eingesetzt und musste unter widrigsten Umständen körperliche Schwerstarbeit leisten.

Als er einmal nackt in einem kleinen Raum sitzen musste, wurde er sich einer wegweisenden Erkenntnis bewusst. Diese nannte er später „die letzte Freiheit des Menschen“.

 

Zwischen Reiz und Reaktion liegt Deine Freiheit

 

Er erkannte in diesem Moment, dass zwischen dem Reiz, der auf ihn ausgeübt wurde und seiner Reaktion darauf, ein Raum lag, in dem er die Freiheit hatte, selbst zu entscheiden, wie er auf den Reiz reagieren wollte. Ihm wurde klar, dass er die Macht hatte, seine Reaktion auf das, was ihm widerfuhr, selbst zu bestimmen.

Mithilfe genauer Selbstbeobachtung und der daraus gewonnenen Erkenntnis konnte er in seinem Inneren selbst steuern, wie sich alles, was er erlebte, auf ihn auswirken würde. So konnten die Nazis zwar seine komplette Umgebung kontrollieren und auch mit Frankls Körper umgehen, wie sie wollten. Sie konnten jedoch nicht beeinflussen, was Frankl dachte.

Dieser blieb ein sich selbst wahrnehmendes Wesen, das aufmerksam beobachten konnte, was mit ihm passierte.

Seine grundlegende Identität war trotz allem, was ihm widerfuhr und um ihn herum passierte, intakt.

Meine folgende Skizze, welche das pro-aktive Modell von Stephen R. Covey aus seinem Business Bestseller „Die sieben Wege zur Effektivität: Prinzipien für persönlichen und beruflichen Erfolg“ darstellt, veranschaulicht visuell den Raum der Freiheit, welcher uns zwischen Reiz und Reaktion offen steht. Hier können wir entscheiden, wie wir auf den Reiz, der auf uns ausgeübt wurde, reagieren möchten.

Innere Unruhe was tun

 

Hierbei ist einerseits das Wissen um diesen Raum und die damit verbundene Entscheidungsfreiheit hilfreich, andererseits dient es in der Praxis oftmals, eben diesen Raum bewusst auszudehnen, bevor wir auf den Reiz reagieren. Gestehen wir uns an dieser Stelle etwas Zeit und Raum zu, so können wir andere Entscheidungen treffen, als jene, die wir im Affekt fällen würden.

Damit können wir große Gestaltungsfreiheit in Bezug auf unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen gewinnen.

Probiere es doch einfach mal aus.

 

Nutze Deine Vorstellungskraft

 

Daneben nutzte Frankl in seiner Zeit im Lager sehr intensiv seine Vorstellungskraft. Während manche seiner Mitinsassen bereits die Hoffnung auf ein Leben nach dem Konzentrationslager aufgegeben hatten, stellte sich der erfahrene Psychiater wieder und wieder bildlich und lebhaft vor, wie er nach seiner Befreiung als Professor an der Universität unterrichten würde. Immer wieder sah er sich in einem großen Hörsaal sprechen, wo er viele Studenten an seinen gewonnenen und bahnbrechenden Erkenntnissen teilhaben ließ.

Was auch immer Frankl sah und widerfuhr, er verlor NIEMALS die Hoffnung auf bessere Zeiten. Ebenso weitete er seine innere Freiheit wie oben beschrieben Stück für Stück aus. So wurde er zur Inspiration für die Menschen, die ihn umgaben.

Für seine Mitgefangenen wie für manch einen seiner Peiniger, die ihn mitunter sogar um Rat fragten, wurde er zum Vorbild. Wenngleich seine äußeren Wahloptionen und Freiheiten erheblich eingeschränkt waren, strahlte Frankl eine immense innere Kraft aus, seine Möglichkeiten auszuleben.

Inmitten der schlimmsten Bedingungen setzte er konsequent seine Selbstwahrnehmung ein, um immer wieder seine innere Freiheit zwischen Reiz und Reaktion bewusst zu gestalten.

Er nutzte zudem sein Vorstellungsvermögen, um sich jenseits seiner gegenwärtigen Wirklichkeit etwas zu erschaffen, was ihm Hoffnung, Sinn und Motivation in seiner äußerst herausfordernden Lage gab.

Daneben erkannte er, dass er einen freien Willen hatte. Dieser erlaubte es ihm, unabhängig von allen äußeren Einflüssen auf der Basis seiner Selbstwahrnehmung zu handeln.

Zudem praktizierte er die Kunst, seine Gedanken und Handlungen stets in Einklang zu bringen. Dabei handelte er gewissenhaft, mutig, zupackend und emphatisch.

 

… trotzdem Ja zum Leben sagen

 

In seinem Buch „… trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ hat Frankl seine Erfahrungen, welche er in den Konzentrationslagern gesammelt hat, niedergeschrieben.

Ich erinnere mich, dass er aufgrund des Medizinermangels in den Lagern auch immer wieder als Arzt dort eingesetzt wurde. Dabei war er stets beherzt im Einsatz, um anderen zu helfen und Trost zu spenden.

An seinen Aufzeichnungen hat mich besonders tief beeindruckt, dass er nie ein abfälliges Wort über seine damaligen Aufseher verliert.

Vielmehr gewinnt man stellenweise den Eindruck, dass Viktor Frankl auch für sie und ihre persönlichen Belange wie ihren Schmerz Mitgefühl aufbringen konnte.

Ich kann das Buch nur jedem ans Herz legen, der Interesse daran hat, mehr über Viktor Frankls Leben zu erfahren. Seine Erkenntnisse sind ein wahrer Schatz gegen innere Unruhe. Im Übrigen lehrte Frankl einige Jahre nach seiner Befreiung an diversen Hochschulen und teilte so sein Wissen mit etlichen Studenten. Genau, wie er es sich in seiner Vorstellung im KZ herbei gesehnt hatte.

 

Eine außergewöhnliche Fähigkeit

 

In diesem Video spricht er über eine außergewöhnliche Fähigkeit des Menschen.

Dieser könne selbst eine Tragödie bis zum letzten Augenblick in einen menschlichen Triumph verwandeln.

Diese Möglichkeit der Gestaltungskraft hat Frankl sowohl als Betroffener in verschiedenen Konzentrationslagern erfahren wie auch als Zeuge vielfach beobachten können.

Jedem von uns steht diese Fähigkeit offen und zur Verfügung.

Vor einiger Zeit habe ich dies selbst miterleben können, als ich mich von einer jungen Frau, die im Sterben lag, verabschiedete. Sie war Anfang Zwanzig und an Krebs erkrankt. Wir kannten uns seit sie vier Jahre alt war und hatten sogar einmal eine Zeit lang zusammen gewohnt. Als ich sie im Hospiz besuchte, konnte sie sich bereits nicht mehr alleine drehen und nur noch mit Mühe sprechen. Trotz allem hatten wir eine sehr schöne, herzliche Begegnung. Dabei haben wir noch einige Male zusammen gelacht, als wir unsere gemeinsamen Erlebnisse Revue passieren ließen.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Der Arzt kam herein und fragte: „Na, wie geht es Dir heute?“ „Gut,“ antwortete sie unmittelbar. Ich stockte.

Dann erkannte ich, dass sie es sich trotz ihrer Lage nicht nehmen ließ, das Beste aus dem gegenwärtigen Moment zu machen.

Damit hat sie mich – ebenso wie Viktor Frankl – etwas gelehrt, was ich nie wieder vergessen werde. Es ist tatsächlich möglich, unser inneres Erleben zu gestalten und die Realität unabhängig von den Umständen voller Würde anzunehmen.

 

Innere Unruhe | Was tun in herausfordernden Zeiten

 

Ich hoffe, dass ich Dir auf die Frage „Was tun in herausfordernden Zeiten?“ mit diesem Artikel eine anwendbare Inspiration für Deinen Alltag nahe bringen konnte.

Sobald Du von innerer Unruhe oder Angst geplagt wirst und Dich fragst, was Du jetzt tun könntest, versuche einmal Folgendes:

  • Statt direkt zu reagieren, bleibe einen Moment schlicht bei dem Gefühl, was Du wahr nimmst. Atme dabei ein und aus. Ein und aus …
  • Egal, ob Du gerade stehst oder sitzt: Verankere Deine Füße mit dem Boden und löse eventuell übereinander geschlagene Beine auf.
  • Wann immer möglich, dehne diesen Moment aus und gib Dir etwas Zeit und Raum, bevor Du ins Handeln gehst.
  • Atme weiter … nimm möglichst urteilsfrei Deine Gefühle wahr und handle anschließend aus Deiner bewussten Entscheidung heraus.

Manchmal hilft es auch, sich die innere Unruhe einfach aus dem Körper zu schütteln. Wie dies geht, erfährst Du in diesem Artikel von mir hier. Wie immer macht auch bei diesen Methoden Übung den Meister und die Meisterin.

Ich wünsche Dir von Herzen viel Erfolg und frohes Üben sowie friedvolle Feiertage mit vielen glanzvollen Augenblicken!

Deine Susanne

P.S.: Wenn Dir der Artikel gefallen hat, teile ihn gerne mit Deinen Freunden! So können mehr Menschen von dem Raum der Freiheit zwischen Reiz und Reaktion erfahren. Auch über Deinen Kommentar freue ich mich riesig!